Manche Studien des östlichen Mittelmeerraums behandeln dessen Kulturlandschaft aus Terrassen und Steinmauern. Eine Studie über Kreta behauptet, dass diese Artefakte das auffälligste Merkmal der mediterranen Kulturlandschaft sind, aber eine der am wenigsten verstandenen. Wenn man diese Beobachtung auf unsere Insel bezieht, müssen wir einsehen, dass die Kulturlandschaft von Cres nicht nur missverstanden, sondern vielfach unbekannt ist. Die massiven Komplexe von Steinbauten zeigen nicht nur auf wie lebendig die Kultivierung des Landes war, sondern ist auch ein Hinweis auf  ‚die Beziehung zwischen Produktionsmethoden und der sozialen und wirtschaftlichen Organisationsformen‘. Die besondere Verflechtung der physikalischen Umgebung, ‚graje‘, ‚klanez‘ and ‚pocivalić‘ (umgangssprachliche Namen der Steinstrukturen) mit der sozialen Umwelt kennzeichnet den Mikrokosmos der Insel, wo nachbarschaftliche Beziehungen und verwandtschaftliche Bande die typischen Eigenschaften einer bäuerlichen Gemeinschaft sind. Sie basiert auf Solidarität und gegenseitigem Wissensaustausch, und gilt für beides, der Kultivierung der Erde und dem Bau der ‚masiere‘, der Steinmauern. Das Endergebnis dieser Verschmelzung zwischen sozialen/kulturellen und physikalischen Eigenschaften ist eine Selbstversorger-Wirtschaft, welche noch keinen breiteren Markt gewinnen konnte.

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Diese Kultur ist ausgerichtet auf die Veränderung des Territoriums, um den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden. Und sie ist auch in anderen Teilen des östlichen Mittelmeerraums anzutreffen. Auf Cres mussten diese Veränderungen den geologischen Gegebenheiten der Insel anpassen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der allgemein benutzte Ausdruck ‚masiere‘ nicht speziell für Cres gilt, sondern venezianischem Ursprung hat. Auf Cres wird dieser Ausdruck für die verschiedensten Arten von Steinmauern verwendet, im Kroatischen aber werden sie gewöhnlich als ‚gromače‘ bezeichnet. Obwohl diese Steinstrukturen einen grossen Teil von Cres überdecken (und klar in der Landschaft auszumachen sind), ist wenig oder nichts über ihren Ursprung, Alter, Verwendungszweck oder Typologie bekannt. Noch weniger ist man sich über  den Wert bewusst, der ihnen beizumessen ist, betrachtet man sie als Ausdruck einer der bemerkenswertesten menschlichen Bemühungen zur Veränderung von Land und Kultur.

Über die Jahrhunderte haben sich mit der Verwandlung von Weideland in Agrikultur die ökonomischen Aspekte konsolidiert. Der Zwang zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion zur Überlebenssicherung hat zwangsweise zu einer Beeinflussung der Umwelt geführt. Zwei Hauptfaktoren sind für diese Überlebenssicherung zu beachten, die Vorgehensweise der Menschen und die natürliche Beschaffenheit des Territoriums.IMG_8355

Die Tierhaltung ist durch Trockenheit und Seuchen zurückgegangen, aber auch während blühender Perioden hatte das Land zu wenig Kapazität, um eine grössere Anzahl von Vieh auf dem Herrschaftsgebiet der Insel zu ernähren. Die ‚carrying capacity‘, die Tragfähigkeit des Territoriums hat seine Grenzen erreicht (‚carrying capacity‘ ist ein Konzept entwickelt 2006 u.a. vom britischen Biologen M. Begon ). Cres war gezwungen, neue Technologien anzuwenden, neue Feldprodukte und Gefilde zu finden, um den Eigenbedarf zu decken. Neues Land musste gewonnen werden – mit wenig finanziellem Kapital und einer Menge Arbeit.

Der Wille der Bauern zur Produktivitätssteigerung, wurde ernsthaft erschwert durch den Mangel von lebenswichtigen Voraussetzungen für diese Entwicklung wie die Verfügbarkeit von Energie, Wasser sowie Nährstoffe in der Erde. Diese Elemente mussten irgendwie zugeführt oder ersetzt werden. Aber nicht nur die Beschaffung der erforderlichen Energie für innovative Technologien war schwierig, sondern auch deren Anwendung.Mag.Giu.Lug.2010 124 Die Aufteilung in kleine Parzellen und die Topologie erschwerte z.B. die Benutzung von Pflügen. Aus diesem Grund trug ein Bauer auf Cres immer eine Haue mit sich, wenn er in die Felder ging. Wasser war bis auf wenige Ausnahmen immer Mangelware, und eine systematische Bewässerung hat nie stattgefunden auf der Insel. Die Erde konnte nicht mit genügend Nährstoffen versorgt werden, Dünger wurde kaum angewandt. Die Landwirtschaft auf Cres musste sich damit begnügen, was die Natur anzubieten hatte: Kalkstein, der manuell in grossen Mengen verarbeitet werden musste. Unserer Ansicht zeigen diese Umstände auf, dass ein Getreideanbau – mit wenigen Ausnahmen – nicht möglich war. Der Landwirt, der Olivenbaum, Wein und Schaf waren die einzigen geeigneten Ressourcen für diese Umwelt.

Die Topographie rund um die Stadt Cres hat deshalb eine Struktur angenommen, welche die Nutzung des Landes, abhängig von ihrem Ort in Bezug auf das Stadtzentrum, wiederspiegelt. Sie entspricht dem von Geographen allgemein beschriebenen Modell für vom Menschen schon seit Neolithischer Zeit erobertes Land, unterteilt in: hortusager, saltus und silva.2008-12-25 22.44.15 In Gärten und in intensiv kultiviertem Land in der Nähe der Stadt werden natürliche Dünger verwendet, d.h. hortus. Weiter von der Stadt entfernt findet man teilweise natürlich gedüngte Erde, d.h. ager und an noch entlegeneren Gebieten, bestimmt als Weideland für Schafe, saltus, und schlussendlich Wälder, d.h. silva. In der Stadtnähe von Cres erstreckt sich kultiviertes Gebiet über einen weiten Radius hinauf zu den obersten Hügellagen und hinab zur Meeresküste, eine Art natürliches Amphitheater formend. In diesem Amphitheater kommt eines der einzigartigsten Beispiele menschlichen Kulturschaffens zum Ausdruck. Die Bauern haben es bewerkstelligt, mit Hilfe von Steinen und grosser Anstrengung, ihren Lebensraum zu schaffen und ihre Versorgung zu sichern.

Es gibt einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Gebieten an den östlichen Mittelmeerküsten – wie in zahlreichen Werken beschrieben – und Cres. In anderen geografischen Zonen wurden die Steine entfernt, um Höhenunterschiede zu auszugleichen und das Terrain zu stabilisieren. Auf unserer Insel hingegen mussten ganze Steinschichten abgetragen werden, um an kultivierbares Land zu gelangen. All die bewegten Steine bilden Strukturen, die an Anzahl, Einfallsreichtum und Vielfalt typisch sind für Cres. Eine flüchtige Betrachtung der gegenwärtigen Agrarlandschaft könnte zur Annahme führen, dass in den letzten Jahrhunderten hauptsächlich Olivenbäume angebaut wurden, was in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Andere Agrarprodukte haben die Landschaft und Terrassen dominiert, wie in anderen Kapiteln dieses Blogs zu ersehen ist.