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Die Menge und Vielfalt der Steinartefakte rund um die Stadt Cres erweckt spontan Fragen wie: Seit wann existieren diese Mauerwerke? Wie viele Arbeiter wurden dafür benötigt? Die gleichen Fragen wurden in anderen territorialen Zusammenhängen gestellt, wissenschaftliche Untersuchungen konnten jedoch keine umfassenden Antworten geben. Es wird angenommen, dass einige Steinmauern auf Kreta aus der Bronzezeit stammen (bronzezeitliches Zyklopenmauerwerk). Die ersten Beispiele von Terrassen, die 1987-88 von Julie Ann Clark auf der kleinen Insel Pseina (nahe Kreta) gefunden wurden, bestehen aus cleck-dams (Dämme). In Limnos, nahe Mycenae auf der Peloponnes, einer Gegend beherrscht von hartem Kalkstein, wurden kleine, in Terrassen angeordnete Landflächen angetroffen, gestützt durch aus einer Anhäufung Steinen gebauten ‚massiven, unproportionierten, sich überlappenden Mauern‘, die sehr den sogenannten menik in Cres gleichen.

Britische und amerikanische Forscher haben oft ihre Überraschung zum Ausdruck gebracht – und auch wir wundern uns – dass in keinem geschichtlichen Dokument in den Archiven über deren Existenz berichtet wird (mit Ausnahme eines sehr kurzen Abschnitts in der Homers Odyssee). Die gleiche Unsicherheit gilt für Cres. Es gibt keine überlieferten Beschreibungen über diese Steinmauern. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, weil die Mauern von einfachen Leuten gebaut wurden, die ihr Werk grundsätzlich nicht dokumentarisch festhielten. Diese ‚masiere‘ (Steinmauern) sind sozusagen Zeugen der ,Acker der Armen‘ und repräsentieren gleichzeitig die gewaltige Arbeit, die erforderlich war, sich über den Mangel an urbarem Land hinwegzuhelfen.Mag.Giu.Lug.2010 122

Hinzugezogene geschichtliche Quellen liefern keine Hinweise auf  diese Mauern. Es ist aber anzunehmen, dass diese Mauern seit langer Zeit existieren. Zäune und Mauern dieser Art wurden nicht nur zum Zweck des Olivenanbaus erstellt, sondern auch zum Anbau anderer landwirtschaftlicher Produkte wie Wein, Gemüse und Getreide. Ein Hinweis über das Alter dieser Strukturen kann indirekt aus dem Verhältnis zwischen dem Ausmass der Arbeit und den verfügbaren ‚kostbaren Händen‘ ersehen werden. Die Bevölkerung von Cres zählte während drei Jahrhunderten (1550-1850) 2500 – 3000 Einwohner, wovon 250 – 300 werkstätig waren (von den Venezianern ‚homeni de fatura‘ genannt). Davon wiederum war nur ein Teil in der Landwirtschaft beschäftigt. Es ist unwahrscheinlich, dass eine so kleine Einwohnerschaft (welche, geschichtlich bewiesen, nie über Sklaven oder externe Arbeiter verfügte), eine solch gigantische Leistung in kurzer Zeit erbringen konnten. Es ist viel wahrscheinlicher, dass diese Transformation des Territoriums lange Zeit in Anspruch nahm und über Jahrhunderte dauerte. Aus diesem Grund ist auch anzunehmen, dass es immer wieder zu Überbauungen der alten Strukturen kam und zu Renovationen von Teilen der tausende Jahre alten Fundamente.

Terrassenarten

Es gibt verschiedene Typen von Terrassen: parallele Terrassen, kurvenförmige Terrassen, verflochtene (zigzag) Terrassen, Taschenterrassen, Feldterrassen, Stauterrassen in engen Passagen, Dammterrassen in hügeligem Gelände, falsche Terrassen, schräg angelegte und Ligurische Terrassen. All diese Terrassenformen, besonders in steilen Hangabschnitten, dienen dazu, das Gestein umzuverteilen, um die zum Anbau nutzbaren Flächen zu vergrößern, den Wurzeln (speziell von Olivenbäumen) das Durchdringen zur Aufnahme der Feuchtigkeit aus dem Kalksteinboden zu erleichtern, die Aufnahme von Regenwasser zu verbessern und als Erosionsschutz. Sie wurden angepasst an die Erdbeschaffenheit und Morphologie und sind oft anzutreffen auf Kalk- und Mergelböden. Der Zweck der Terrassenanlagen ist in allen Kulturen im Mittelmeerraum derselbe, ob in Kreta, Griechenland oder Cres, aber das Ausmass an nötiger Arbeit und Energie zum Bau der Mauern unterscheiden sich gewaltig.

Einige Formen der obengenannten Terrassen befinden sich auch auf Cres, wo man eine spezielle Methode zur Kultivierung  des Landes beobachten kann, bekannt als graja.DSC01676 Im Fall von Cres wurde die Terrassenbautechnik der Natur und der Landformation sowie der Materialzugänglichkeit angepasst. Die Unmengen von Steinen wurden abgetragen und am Rand der zu kultivierenden Fläche angesammelt, bekannt als menik.IMG_1517 In den Augen des Beobachters erscheinen diese Ansammlungen von Steinen als ein Teil der Natur. Die freigesetzten Flächen dienten anfangs wahrscheinlich als Weideland und nach einer weiteren Säuberung zum Anbau von Getreide, durchsetzt von Olivenbäumen und Weinstöcken.

Terrassen und die architektonischen Formen der Olivenhaine auf Cres

DSC01667Der gewonnene Raum zwischen zwei menik bildet eine graja. Innerhalb einer graja gibt es diverse Strukturen, um den Boden zu ebnen, die Mauern zu stützen, vor Wind zu schützen usw. Sie ähneln  teilweise den Terrassenformen in anderen Gebieten, unterscheiden sich aber in Linearität und Regelmässigkeit. Die Steinstrukturen von Cres kommen in den verschiedenartigsten Formen vor, abhängig von Ort und Bodenbeschaffenheit. Aus den wilden, gleichartig aussehenden Steinhaufen, geformt von der aufgerissenen Erde, wurden – nach sorgfältiger Auswahl von geschickten Maurern –  wohlgestaltete Gebilde geschaffen. Jeder der Steine, aus seinem ursprünglichen Platz entnommen, wurde schlussendlich Teil  der Vielfalt von Artefakten, die wir jetzt in der Landschaft antreffen.

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Scarpa controscarpa

Mittels Kalkstein als Rohmaterial konnten Handwerker und Bauern eine Vielfalt von Trockenmauern bauen. Entsprechend der Anforderungen sind das Doppel- oder Einfachmauern (ugnoli), Stützmauern (scarpa und controscarpa), Schutzmauern gegen Erosion (barbacani), oder Mauern als Rastplätze (pocivalić).

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pocivalic

Eine Doppelmauer befindet sich meistens an beiden Seiten einer Strasse. Höhe und Breite der Mauern wurden angepasst an die Bodenbeschaffenheit  und der zur Verfügung stehenden Menge von Material bzw. an Art und Stil eines Weges. Mauern, bestimmt für Strassen, sind von höherer Qualität und Design. Sie sind fest, stabil und kunstvoll gefertigt mit der schönsten Seite nach aussen gerichtet. Sie wurden üblicherweise an den exponiertesten und meist frequentierten Stellen gebaut, der kritischen Beurteilung der Passanten ausgesetzt. Um die Stabilität zu gewährleisten und dem grossen Gewicht zu widerstehen, erforderten diese Mauern einen felsigen Untergrund. Nur in seltenen Fällen waren Drainagen nötig, um Stabilität und Sicherheit zu garantieren.

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ugnoli

In bebaubarem Land haben einfache Mauern (umgangssprachlich ugnoli) die Breite eines einzelnen Steins, aber diese sind nicht oft anzutreffen, denn ihre Bedeutung für die Kultivierung wird als eher gering erachtet. An den exponiertesten Stellen wurden sie zum Schutz gegen die Bora und die Nordwinde gebaut, mit einer speziellen Technik, die starken Winde abzudämpfen und trotzdem nicht einzustürzen.

Die Stützmauern zur Terrassenbildung waren von ausserordentlicher Wichtigkeit, um Ansammlungen von Steinen und Erdrutsche in den steilen Hängen zu verhindern. Die Mauern bei den ‚ masieroni’ (menik) sind grundsätzlich niedrig gebaut, damit die Steine nicht auf das bebaute Land rutschen. Die sogenannten barbacani

barbacani

barbacani

  schützen vor Erosion und das Wegrutschen von kultiviertem Boden. Ihre Höhe variiert zwischen 30 und 150 cm, die Breite zwischen 40 und 150 cm. Dieser Begriff wird von manchen Bauern auch für Stützmauern (contra forte, scarpa, controscarpa) und Terrassen benutzt. Kleinere barbacani werden barbakanić  genannt. Grosse ‘Masiere’ or ‘Menik”’ zeugen von dem enormen Arbeitsaufwand, der erforderlich war, um den Boden von den Steinen zu befreien und urbar zu machen. Nach der Auswahl des Materials für den Bau dieser Artefakte sind viele Steine übrig geblieben, die dann in riesigen Mengen (menik) an beiden Seiten der ‚graja‘ angehäuft wurden. Der Arbeitsaufwand, eine solche Menge von Steinen zu Haufen von bis zu 2-3 m Höhe zu bewegen, bedeutete enorme Anstrengung und Mühe. Die nach einer weiteren Säuberung angesammelten Steine zu kleineren Haufen werden menicić genannt.

Neben den Feldarbeiten wie Pflügen, Arrangieren und Anpflanzen von Bäumen haben die Bauern auch bei dem oben beschriebenen Mauerbau mitgearbeitet. Die weitgehend anonymen Mauermeister, wenig an der Zahl, wurden rein für den Mauerbau der ‚masiere‘ und anderen Bauwerken angeheuert. Die Bauern, die sich dem Anbau von Oliven und Wein widmeten, versuchten von deren Handfertigkeit zu profitieren, denn der Bau dieser Mauern war sehr schwierig und erforderte höchste Präzision und spezielle Kenntnisse. P1010779Die höheren und dickeren Mauern, die die Wege säumen, sind bezüglich Sicherheit, Funktionalität und Wert die wahren Früchte der Kunstfertigkeit der Meister, deren Gehalt etwa doppelt so hoch wie der der Bauern war.

Alle ‚graja‘ sind mit der Infrastruktur der Strassen gekoppelt, bestehend aus mit Steinen gepflasterten Wegen, Alleen (klanez) und Treppen. An Verzweigungen oder strategischen Punkten wurden Rastplätze angelegt, um vorübergehend schwere Ladungen zu parken oder sie aber auch als Treffpunkte (pocivalić) zu benutzen. Auch auf den Strassen kann das handwerkliche Geschick im Einsatz von Kalkstein beobachtet werden, wie den Ablauf des Regenwassers zu optimieren, die Strassenoberfläche zu schützen, die Steilheit zu reduzieren, generell, um Mensch und Tier das Reisen zu erleichtern und komfortabler zu gestalten.

Berechnungen und Messungen der Steinbewegungen

In einigen Studien auf europäischem Niveau (Progetto Alpter) wurden Messungen angestellt, um Arbeits- und Materialaufwand für den Bau von Terrassen an verschiedenen Plätzen auf dem Kontinent aufzuzeigen.

Alpi Marittime: Der Bau einer 2.5 m langen und 1 m hohen Mauer benötigt 1.5 m³ Fassadensteine, 1 m³ Füllsteine und 0,25m³ Erde. Die Bauzeit dafür beträgt 4-5 Stunden und das benötigte Material wiegt etwa 6 Tonnen. Die Terrassierung eines Hangs erfordert laut Berechnungen 200-300 Arbeitstage pro Hektar.

Gemäss Berechnungen von anderen Wissenschaftlern (Ph. Blanchemanche, Bâtisseurs the paysages, terrace elements, épierrement et petit hydraulique agricultural en Europe XVII-XIX siècles) im Jahr 1990 wurde geschätzt, dass man 120000-180000 Arbeitstage brauchte, um eine Fläche von 10 Quadratkilometern zu 60% zu kultivieren. Dies entspricht etwa einer Bauzeit zwischen 8 und 30 Jahren für ein Team von 20-50 Arbeitern und lässt daraus schliessen, dass die Terrassierung von manchen Hängen 50-100 Jahre dauerte.

In Remo Terranova, in Cinque Terre, in Italien, wurden für Weingüter von einer Fläche von 2000 Hektaren 8.4 Millionen Kubikmeter Steinmaterial benötigt – zum Bau von Mauern von einer Gesamtlänge von 6720 km.

In der zitierten Publikation von Cavallini (unter dem Titel Geschichte) befindet sich ein Anhang, geschrieben von Dr. Antonio Petris und Ing. Nicolò Bolmarcich. Diese im Jahr 1900 durchgeführte Studie besagt, dass 15 ha (abweichend in der Topologie des Terrains) von total 1288 ha Olivenhainen in Stadtnähe eine Wachstumsdichte von 249 Pflanzen per Hektar ausgewiesen haben, insgesamt 320,723 Olivenbäume. Eine andere wichtige Sache, die unser Interesse weckt, ist das Verhältnis zwischen Anbauertrag und Steinbeseitigung. Von insgesamt 1288 Hektaren sind

  • 13/40 (418.40 ha) bedeckt von Steinen in Form von Grenzmauern, Terrassen barbacani, scarpe und controscarpe, Steinhaufen (menik), Strassen und Wegen etc.
  • 5/40 (161 ha) kultiviert, aber mit geringer Produktivität
  • und schliesslich 22/40 (708.40 ha) bewaldet mit Olivenbäumen.

Die Tatsache, dass 48% der untersuchten Fläche mit Steinen überdeckt war, und von diesen befreit wurden, zeugt von dem gewaltigen Arbeitsaufwand, der geleistet wurde.

CRES mapa

Das von Cavallini undersuchte Gebiet